Armin Lambert - Verbrämung

Armin Lambert, „Verbrämung - Objekte“

Kunstverein Neckar-Odenwald

Mosbach, Altes Schlachthaus

Vernissage, 26. März 2006

 

Laudatio:

Maria Lucia Weigel, M.A.

Kunsthistorikerin, Heidelberg

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Verbrämung nennt Armin Lambert seine Ausstellung im Alten Schlachthaus, den Ausstellungsräumen des Kunstvereins Neckar-Odenwald in Mosbach. Er kommentiert damit schon im Titel die besondere Situation dieses Ausstellungsortes. Auch das von ihm kreierte Ambiente - Verschnürungen und Fleischerhaken - steuert die Wahrnehmung der Arbeiten in eindeutiger Richtung. Eine Diskrepanz tut sich auf zwischen einer rauhen Wirklichkeit, die Teil unseres alltäglichen Lebens ist, und den Kunstwerken, die in der Auffassung des Künstlers als Stellvertreter dienen. In ihnen können gefahrlos essentielle Fragen abgehandelt werden, die eigentlich unsere eigene Wirklichkeit betreffen - Kunst als geschützter Raum, um Wesentliches freizulegen.

 

Armin Lambert hat Arbeiten aus mehreren Jahren unter dem Aspekt des Ortsbezuges zusammengestellt. Ein starkes Assoziationsfeld wird damit eröffnet, auf der einen Seite gespeist aus dem persönlichen Erleben des Künstlers, an dessen Wohnsitz in unmittelbarer Nahbarschaft ein Schlachthof liegt; zum anderen gespeist aus den Einzelaspekten, die sich dem Thema der körperlichen Präsenz des Tieres, seiner Verwertung und Verwandlung in Nahrung assoziativ zugesellen. Die Konfrontation mit ausgewählten Facetten des Themas, der sich der Künstler aussetzt, vermittelt sich über das vollendete Werk dem Betrachter in ganz unmittelbarer Weise.

Dabei bestimmt die persönliche Anverwandlung von vorgefundenem Material das künstlerische Vorgehen in entscheidendem Maße. Relikte des alltäglichen Lebens, die an sich keine über sie selbst hinausweisende Bedeutung besitzen, werden im schöpferischen Prozeß umgedeutet. Dabei werden ihnen keine neuen Aspekte hinzugefügt; vielmehr enthüllt die im Handwerklichen vollzogene künstlerische Bearbeitung den für Armin Lambert wesentlichen, zuvor verborgenen Gehalt eines Objektes. Nicht die Ästhetisierung des Gegenstandes steht hierbei im Vordergrund, sondern der Akt einer allmählichen künstlerischen Aneignung und Transformation durch das Ausdeuten des schon Vorhandenen.

 

Stoffe, Tücher und Teppiche etwa, bevorzugte Arbeitsmaterialien des Künstlers durchlaufen eine Metamorphose. Ihrer ursprünglichen Funktion im Lebensalltag sind sie enthoben, wobei der Aspekt der vorherigen persönlichen Benutzung für Armin Lambert als Auswahlkriterium eine nicht geringe Rolle spielt. Gerade das Gewohnte, das Banale und Unscheinbare hat das Potenzial zum Kunstwerk. In die Ausstellung haben Werke Eingang gefunden, die den Bezug zum Tier – geschlachtet oder in ritueller Lebendigkeit gedeutet – assoziativ herstellen. Unterschiedliche Aspekte werden dabei zu Auslösern der künstlerischer Deutung. Lassen Sie mich einige davon benennen.

 

Haut als Organ, das ein Knochengerüst umspannt, wird in der „Haut“ und „Knochen“ betitelten großen Installation in der Mitte des Raumes thematisiert. Ursprünglich als Badewanne und Waschbecken genutzt, fügen sich die Elemente der Installation zur Anmutung eines aufgehängten Tierkadavers. Kein Volumen aus Innereien und Muskelfleisch füllt ihn mehr, aber Haut und Knochengerüst halten ihn in Form. Makellos präsentiert sich uns das Weiß der glatten Oberfläche, ebenmäßig sind die Konturen des Leibes und des gehörnten Schädels. Die Intaktheit der Haut und des Körperbaus als Eigenschaften des einst lebendigen Tieres werden in der Umwidmung des Fundmaterials sinnfällig aufgerufen. Dabei gewinnt die funktional bedingte Beschaffenheit der aus dem Sanitärbereich stammenden Elemente im neuen Deutungskontext ungeheure Stringenz. Treffend bringt das Vorgefundene eigene Qualitäten in das Werk ein.

Wie zufällig findet sich in der Nähe dieser Arbeit ein weißer Stein auf dem Boden. Sofort stellen sich Assoziationen von Fett oder Hirn des geschlachteten Tieres ein.

 

Das Hängen ausgenommener Tierkörper wird in zwei schweren, aufgehängten Blechen visualisiert. Einseitig sind ihnen Nähte aufgeschweißt; Schienen halten die Konstruktion und lassen sich als Rückgrat lesen. In sanft schwingenden Verformungen scheinen die Bleche den Gesetzen der Schwerkraft ausgeliefert zu sein wie Tierseiten, in denen der leblose Körper aufgespannt einer weiteren Verarbeitung überlassen ist. Unterschiedliche Oberflächentexturen entfalten sich auf den Innen- und Außenseiten. Der fleckigen Patina auf der ansonsten nackten Seite steht eine in feinem Relief der Schweißnähte uneben gestaltete Oberfläche gegenüber. Lange Lagerung und Feuchtigkeit haben beide Seiten in unterschiedlichen Farbtönen rosten lassen. Innen und Außen, Innenhaut und Fell oder Außenhaut und Reste von Gewebe werden mit sparsamsten gestalterischen Mitteln angedeutet oder ein optisch ähnlicher Eindruck durch das Einbinden natürlicher Prozesse in die künstlerische Transformation hervorgerufen. Fast gänzlich in die Fläche überführt, bewahren diese Objekte dennoch dreidimensionale Qualitäten in der expliziten Beidansichtigkeit. Allein das körperliche Volumen ist in die Darstellung nicht einbezogen. Das Wesentliche kommt in der Reduktion klarer zum Ausdruck.

 

Eine Steigerung dieses Aspektes findet sich in zwei weiteren Arbeiten. Wachsfolie ist als große Bahn frei in den Raum gehängt. Dünn wie Haut mit einer Oberfläche, die einen eigentümlichen taktilen Reiz ausübt, präsentiert sie sich dem Betrachter. Ihre Rückseite ist mit einer dichten schwarzen Farbschicht bedeckt. Gewendet kommt jedoch unversehens ein lockeres, malerisches Gefüge aus einer Vielzahl von Pinselstrichen in kräftigem Zitronengelb zum Vorschein. Die Farbe ist mehreren andersfarbigen Malschichten auf der Rückseite gegenübergestellt. Verklebungen mit Tesafilm kaschieren Risse und Löcher des Malgrundes; sie werden in den Übermalungsvorgang eingebunden und versinnbildlichen einen Heilungsprozeß, der im Kunstwerk stellvertretend vollzogen wird.

 

Die Rückseite einer großen Tuchbahn hat Armin Lambert mit flammend roter Farbe durchtränkt und die auf der Gegenseite durchschlagenden Strukturen in Lachsrosa aufgenommen - eine Spurensuche mit künstlerischen Mitteln. Rot als Farbe des Blutes, als Lebenssaft, nimmt einen wesentlichen Platz im Assoziationsfeld der Ausstellung ein. In einem innenseitig mit Kugelschreiben blutrot bemalten Fuchsfell ist diese Rückholung eines Lebensaspektes in das tierische Relikt ebenso gelungen. Auch hier kommt die künstlerische Umwertung durch das Zusammenführen mehrere Aspekte auf einer höheren, symbolischen Verständnisebene zum Ausdruck.

 

Lebendige Bewegung als Gegenpol zum leblosen Ausgeliefertsein ist das Thema eines Bildtuches. In zarter, irisierender Buntfarbigkeit strichelnd skizziert scheint eine große Anzahl von Tieren, Vögel, Raubkatzen und Huftiere, das Tuch als Lebensraum erkoren zu haben. Im lebendigen Gewimmel geht der Künstler zeichnend Strukturen nach, die er als stilisierte Tierornamentik auf einem bebilderten Tuch vorfindet. Allerdings werden die einzelnen Darstellungen durch Umzeichnen und Durchpausen auf transparentes Papier zunächst aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst. Großzügig werden Konturen erweitert und umformuliert, so daß bei der Übertragung phantastische Wesen in veränderten Konstellationen auf den Bildträger finden. Auch die Zeichnungen besitzen den autonomen Status von Kunstwerken. Die Ökonomie der Mittel, der sich Armin Lambert unterwirft, fordert eine Transparenz des Arbeitens, in der kein Schritt nebensächlich ist.

 

Das Leben findet auch durch die Hintertür zurück in die Ausstellung. Kleine Tiere, aus Vorgefundenem entstanden, bevölkern den Raum – hier eine Eule, dort ein Kriechtier. Tröstliche Anmerkungen zu einem Aspekt unserer Lebenswelt, der der künstlerischen Anverwandlung innerhalb eines geschützten Raumes bedarf, um handhabbar zu werden.

 

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