Pressearchiv 2011

Fränkische Nachrichten, April 2011

Spuren von Licht in verrinnender Zeit

Fotografische Kontemplationen eines poetischen Physikers

 

von Tim Krieger

Auch am Wahlsonntag gab es in Buchen großes Interesse an Kunst der Moderne: der Kunstverein Neckar-Odenwald hatte zur Eröffnung seiner diesjährigen Saison ins Buchener Kulturforum Vis-à-Vis geladen und Vereinsvorsitzender Werner Zeh freute sich über die zahlreichen Besucher, die sich mit den großformatigen Farbfotografien von Andrej Pirrwitz beschäftigten wollten.

Bürgermeister-Stellvertreter Roland Linsler begrüßte im Namen der Stadt Buchen und zeigte sich beeindruckt davon, dass es dem Kunstverein wieder gelungen ist, für seine Ausstellungsplattform einen Künstler zu gewinnen, der von europäischen Rang ist.

Davon zeugen die illustren Ausstellungsorte, an denen Pirrwitz bereits seine Arbeiten zeigen konnte – Galerien, Messen, Kunstvereine, Museen...

Werner Zeh ließ in seiner Einführung aufscheinen, was als Ursache für den schnellen Erfolg von Andrej Pirrwitz zu vermuten ist. Andrej Pirrwitz ist ein Quereinsteiger ins Medium der Lichtbildkunst. Denn eigentlich ist das Multitalent Doktor der Physik!

Die Arbeiten, die er in den letzten 10 Jahren mit seiner Linhof-Großbild-Laufbodenkamera geschaffen hat, haben eine geheimnisvolle Ausstrahlung, die von der Ferne an Werke des Fotorealismus erinnert, von malerischer Anmutung ist.

Dabei sind sie Fotografie pur: sie entstehen auf Negativplanfilmen im Format 4x5 inch und werden in großformatigen hochwertigen Prints präsentiert, die zu optischen Entdeckungsreisen einladen. Und die Sujets? Pirrwitz zeigt sich fast hypnotisiert von der Faszination, die von alten, aufgelassenen, leerstehenden Gebäudekomplexen ausgeht: Firmen, Werkstätten, Fabriken, Büroräume.

Dort inszeniert er mit vorsichtiger Hand, bis für ihn „alles stimmt“. Dies kann einmal Tage dauern, er ist wirklich kein Schnellschuss-Fotograf. In den meisten seiner Bilder verrinnt sichtbar Zeit: mit Langzeitbelichtungen meist zwischen 30 Sekunden und 3 Minuten lässt er Bewegung sichtbar werden, illustriert er den Wechsel von Menschen und Objekten durch das Entstehen von Transparenzen.

Der 1963 in Dresden geborene Pirrwitz gestaltet nicht nur fotografisch, er greift vor dem Auslösen auch in die Räume selbst ein: er übermalt Wände, inszeniert Inventar, positioniert Menschen. Diese Frauen und Männer werden zu Metaphern, zu Zeichen in einem Kontinuum von Zeit und Raum.

Die Farbigkeit seiner Foto-Arbeiten ist meist reduziert, Pirrwitz liebt den „Kosmos Grau“ mit seinen unzähligen Nuancen und stellt gegen diese Reduziertheit oft kleine farbige Signale, leuchtendes Gelb, Rot. Seine Bilder werden so zu visuellen Erfahrungen, die dem Betrachter, der sich öffnet, purer ästhetischer Genuss sein können und dies bei Abbildungen von Orten, die eigentlich als „Nicht-Orte“ bezeichnet werden können: z. B. Ruinen, Mauern, die dem Abriss geweiht sind, mit Stahlmobiliar, das auf Verschrottung wartet.

Und in diese Zusammenhänge stellt Pirrwitz in einigen seiner Arbeiten nackte menschliche Körper, die wie verweht wirken, wie verklingend, verletzlich, Fragen aufwerfend.

In der Heidelberger Edition Braus entstand 2010 eine wunderschöne Werkschau des Künstlers: „Pirrwitz Photography“ . Der Verlag konnte dafür die Kunsthistoriker-Legende Klaus Honnef gewinnen, inzwischen Professor für Theorie der Fotografie. Unter anderem heißt es hier: „Das fotografische Werk von Andrej Pirrwitz ist eine Spurensuche. Licht, Raum, Farbe, Form und Bewegung verschmelzen zu einer eigenständigen Bildrealität mit un- oder überwirklichen Zügen.“

Andrej Pirrwitz ist ein Vertreter der zeitgenössischen Lichtbildkunst, die sich in der analogen Technik zu Hause fühlt. Dass er der digitalen Fotografie bisher ferngeblieben ist, ist aber keine Ideologie. Wie in vielen Bezügen seiner Arbeit handelt er auch hier intuitiv, aus dem Fühlen heraus.

Der Kunstverein präsentiert eine Ausstellung, in der nicht nur Freunde der Fotografie Gewinn von einem Besuch haben. Es ist kein Zufall, dass in Frankreich – Pirrwitz lebt seit 2001 in Straßburg -  namhafte Philosophen zu Förderern seiner Arbeit geworden sind. Dass diese Arbeiten tief schürfen, machen sie für jeden wertvoll, der Freude daran hat, mit Pirrwitz in seine Tiefen vorzudringen.

 

 

 

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